Anlässlich des 50. Geburtstages der Erstausgabe von Robert Franks Buch »Die Amerikaner« legt der Steidl Verlag diesen Fotobuch-Klassiker erneut auf. Robert Frank (*1924 in Zürich) wanderte 1947 in die USA aus und fotografierte »Die Amerikaner« auf Reisen durch die USA in den Jahren 1955/1956 – ermöglicht durch ein Guggenheim-Stipendium.
Die Bedeutung von »Die Amerikaner« ist bis heute ungebrochen. Die Geschichte des Erfolgs beginnt jedoch nicht unmittelbar mit der Erstausgabe. Diese muss in Frankreich erscheinen, weil sich zunächst kein amerikanischer Verlag für die Publikation findet: Die Bilder sind wohl zu kritisch oder vielleicht einfach zu alltäglich und zu beiläufig fotografiert, als dass sie in Amerika Interesse wecken können. Denn Frank lehnt sowohl spektakuläre Sujets als auch eine derartige Bildsprache ab. Henri Cartier-Bressons Theorie des »Entscheidenden Augenblicks« bezeichnet er als glatt und ästhetisierend. Diese Art der Fotografie sei nicht in der Lage, Menschen emotional zu berühren.
Die Aufregung um Franks Buch »Die Amerikaner« lässt sich 50 Jahre später kaum nachvollziehen, ist doch diese Art der Beobachtung des Alltäglichen heute fest im Kanon der fotografischen Stile etabliert. Franks Fotografie kann in einer Tradition der dokumentarischen Fotografie gesehen werden, die auf Walker Evans zurückgeht. Evans bezeichnet seine eigene Fotografie als im »documentary style« fotografiert. Weil er das Adjektiv ›dokumentarisch‹ verdächtigt, gleichsam ›wahr‹ oder ›authentisch‹ zu bedeuten, zieht er es vor, das Dokumentarische als Stil zu benennen, den er verwendet, ohne damit für seine Fotografien einen objektivierenden Anspruch zu verbinden. Die Parallelen zwischen Evans’ und Franks Amerika-Büchern geben Aufschluss über Evans’ Einfluss. So ist es nicht verwunderlich, dass Walker Evans Franks Projekt als dessen Mentor maßgeblich unterstützt.
Auch heute üben die Bilder noch immer eine große Faszination aus. Einerseits mag das mit der Atmosphäre einer vergangenen Zeit in Verbindung stehen; andererseits geht diese Faszination über das historische Moment hinaus und gründet in der Kraft der Bilder. Viele wirken zeitlos; im groben Korn der Schwarzweißfotografie, in leichten Unschärfen oder besonderen Lichtsituationen manifestiert sich zudem eine Spur von Melancholie. Und obwohl Autos und modische Vorlieben sich gewandelt haben, wirken viele der fotografierten Situationen sehr zeitgemäß: Wenn Gemälde von Washington und Lincoln mit dem Sternenbanner einträchtig beieinander hängen oder orthodoxe Juden eine New Yorker Fähre benutzen, erscheint das auch heute ganz natürlich. Franks Konzentration auf einen Moment, einen Gesichtsausdruck, eine spezifische Szenerie zieht uns als BetrachterInnen hinein in die Bilder, lässt uns teilhaben. Die Fotografien wollen uns nichts erklären oder uns gar belehren: Wir sollen bloß genau hinschauen und unsere eigene Einschätzung der Situation entwickeln.
Rassentrennung in öffentlichen Verkehrsmitteln? Frank fotografiert nicht das Schild, das darauf hinweist, sondern zeigt eine Szene, in der Schwarze und Weiße einer bestimmten Sitzordnung folgen. Das erzeugt vielleicht zunächst keine Empörung und wirkt erst auf den zweiten Blick; aber es wirkt dafür umso nachhaltiger, weil es die Situation im Bild reflektiert. Unabhängig davon, wo Frank fotografiert, bleibt er auf Distanz, selbst wenn er ganz nah herangeht. Immer wahrt er den Abstand des Fremden. Ob bei den Schönen und Reichen oder den Durchschnittsbürgern, den Arbeitern, den Armen, den Diskriminierten – er beobachtet und nimmt teil, aber er gehört nie dazu. Die Distanz ermöglicht es Frank, sich nicht vereinnahmen zu lassen und genau hinzuschauen. Uns BetrachterInnen eröffnet dies die Chance, uns ein eigenes Bild zu machen, je nachdem, wie wir uns einlassen auf die Bilder, auf die Situationen, auf die fotografierten Menschen. Diese Unabhängigkeit haben sich die Bilder bewahrt und sie ist es wohl auch, die ihnen bis heute ihre Kraft verleiht. Frank fotografiert Amerikanisches, auch Symbolisches, ohne die Fotos selbst als Symbole anzulegen. Die Fotos lassen sich von ihren Sujets nicht vereinnahmen und bleiben als Bilder unabhängig.
Die Wirkung des Buches entfaltet sich auch durch die Anordnung der Bilder. Frank nimmt einzelne Elemente an unterschiedlichen Stellen auf, manchmal fügt er Inhalte über formale Korrespondenzen zusammen: Das eingepackte Auto vor dem von Palmen beschatteten Bungalow leitet über zum abgedeckten Unfallopfer in einer unwirtlichen Gegend mitten im Nirgendwo. Über inhaltliche Bezüge werden kurze Bildstrecken zusammengefügt. Aus einer Abfolge von wenigen Bildern, in denen beispielsweise christliche Kreuze eine Rolle spielen, kann sich eine Sequenz entwickeln, selbst wenn die Fotografien formal sehr unterschiedlich sind. Die Bilder werden so innerhalb des Buches fest miteinander verwoben.
Die Neuausgabe von »Die Amerikaner« ist leicht verändert. Das Format ist – im Vergleich zu meiner Ausgabe des Münchner Christian Verlags von 1986 – kleiner und kompakter geworden. Reihenfolge und rechtsseitige Anordnung sind unverändert, aber einige Bildausschnitte sind neu, weil Robert Frank nun das ganze Negativ zeigt. Zudem sind laut Verlag zwei Bilder ausgetauscht, wo eine andere Belichtung derselben Situation ausgewählt wurde. Diese Änderungen sind von Robert Frank autorisiert, der selbst intensiv an der Neuausgabe mitgearbeitet hat. Eine Veränderung der Neuausgabe ist jedoch irritierend: Die kurzen Bildtitel, die meist den Ort der Aufnahme benennen, sind nun auf der linken Seite neben den Fotos abgedruckt. Dies entspricht der amerikanischen Originalausgabe von 1959. In meiner Ausgabe finden sie sich als nummerierte Liste am Ende des Buches.
Die Irritation hängt vielleicht auch mit der Publikationsgeschichte von Walker Evans Buch »American Photographs« zusammen: Evans hatte absichtlich alle Bildtitel an den Schluss der Bildteile verbannt, damit die Bilder als Bilder ohne textliche Information angeschaut werden können. Nachfolgende Ausgaben hatten das immer ignoriert, bis 1988, ebenfalls zum 50. Jubiläum, eine Neuausgabe veröffentlicht wurde, die Evans’ Wunsch respektierte. In der Steidl Publikation von Robert Franks »Die Amerikaner« scheint es nun ausdrücklicher Wunsch des Fotografen zu sein, dass die Bildtitel neben den Bildern abgedruckt sind. Ich finde sie eher störend: Denn sie stehen gewissermaßen vor der intensiven Beschäftigung mit den Bildern. Die Bildtitel bezeugen den Charakter der Bilder als Dokumente, indem sie eine Verbindung zu realen Orten herstellen. Diese Verbindung besitzt aber für die Betrachtung der Fotografien als Bilder keine Relevanz. Mein Eindruck ist, dass die Titel helfen sollen, die Bilder zu lesen, zu entschlüsseln, zu verstehen. Doch ich möchte sie vielmehr eingehend betrachten, mich in ihren Bann ziehen lassen, mich ihrer Wirkung öffnen. Dafür reicht das Wissen um Entstehungsort und -zeit des Buches. Ob es aus europäischer Perspektive heraus überhaupt möglich ist, dieses Amerika zu verstehen, darf ohnehin bezweifelt werden.
Robert Frank: Die Amerikaner, Göttingen 2008, Steidl.
180 Seiten, 83 Abbildungen
Format: 18.4 x 20.9 cm
Sunday, September 14, 2008
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