Wednesday, September 19, 2007

Elisabeth Neudörfl: Super Pussy Bangkok


Vermutlich verhindert der Titel das Auffinden dieses Buches über seriöse Suchmaschinen im Internet. Doch obwohl Prostitution und deren Hintergründe Thema des großformatigen Fotobuches sind, zeigen die Fotografien nicht das, was sich üblicherweise hinter einem solchen Titel verbirgt. Überraschend ist zunächst das Buchformat: In metallischem Magenta präsentiert sich der etwas schmaler als A3 angelegte hochformatige Band, der mit einer Metallspirale gebunden ist. Der Titel ist einer Neonreklame nachempfunden. Beim Aufblättern folgt direkt die erste querformatige Schwarzweiß-Fotografie. Das vollformatige Bild ist in der Mitte durch die Spiralbindung zweigeteilt. Dieser Umgang mit Bild und Layout zieht sich durch das gesamte Buch mit insgesamt 33 Fotografien. Im ganzen Band gibt es keine Vakat-Seiten oder weißen Ränder, Text steht nur auf dem Außenumschlag.

Elisabeth Neudörfl richtet ihre Kamera hauptsächlich nach oben, meist stürzen die Linien. Sie fotografiert Hausfassaden mit Klimaanlagen, Kabelgewirr, Neonreklamen. Das diffuse Tageslicht sorgt für eine gleichmäßige Beleuchtung. Schnell wird klar, dass hier ein Vergnügungsviertel gezeigt wird. Nur selten sind die Straßen zu sehen, die Bilder geben den Blick frei auf abweisende, schäbige Fassaden, auf dem Balkon trocknende Wäsche, Satellitenschüsseln. Doch am Auffälligsten sind die wirren Stromkabel, die sich scheinbar planlos von Haus zu Haus winden und die Klimaanlagen sowie nachts die Neonschilder der Clubs mit Strom versorgen. Das Schwarzweiß der Fotografien betont den nüchternen Blick, der sich nicht einwickeln lässt und eine Exotik des Fremden von vornherein ablehnt. Die Namen der Lokalitäten spiegeln die globalisierte nächtliche Unterhaltung: Ballermann 69, Tip-Top Restaurant, Radio City, Suzie Wong oder eben SuperPussy. Lediglich über die Namen und ihre typografische Umsetzung scheinen sich die Etablissements voneinander zu unterscheiden. Eine riesenhafte ägyptische Maske an einer Fassade oder Objekte, die nachts wohl als Neon-Brunnen oder –Sonnen erscheinen, deuten auf die Sehnsucht nach Las Vegas-Glamour. Die Fotografien betonen deutlich die Enge in den Gassen und die Nähe zwischen den Clubs. Hinter den nur wenige Stockwerke hohen Häusern des Vergnügungsviertels sind auf einigen Bildern Hochhäuser zu sehen. Fast scheint es, als ob die schmutzigen Geschäfte der Straße aus den Türmen heraus überwacht und die Geldströme von dort aus kontrolliert werden.

Elisabeth Neudörfl hat in Bangkok in jenen drei Straßen fotografiert, in denen die sich vorwiegend an westliche Ausländer richtende Sexindustrie beheimatet ist. Auf der Rückseite des Bandes weist ein kurzer Text darauf hin, dass – trotz des Verbots der Prostitution in Thailand – dieser Sektor ca. 10% des Bruttoinlandprodukts erwirtschaftet. Tatsächlich sind diese drei Straßen zusammen nur etwa 600 Meter lang. Neudörfl betont die räumliche Begrenzung, indem sie wiederholt Schilder oder Fassaden aus variierten Blickwinkeln zeigt.

Neudörfls Fotografien setzen sich mit der Prostitution im Zustand der ordnungspolitisch geduldeten Illegalität auseinander, ohne sich vordergründig der menschlichen Seite zuzuwenden. Sie zeigen gerade nicht die nächtliche Situation, wenn sich dort Menschen tummeln und alles in eine geheimnisvolle, aufregende Neonfarbigkeit getaucht ist, die Konturen verschwimmen und Details in der Dunkelheit entschwinden. Neudörfl fotografiert tagsüber. Die Fotografien sind menschenleer, so dass Gefühle von Sympathie oder Antipathie gegenüber Personen grundsätzlich ausgeschlossen sind. Die Sachlichkeit der Aufnahmen orientiert sich an der wahrnehmbaren Außenwelt und vertritt damit eine streng dokumentarische Haltung. Die Fotografin nimmt sich zurück, sie lässt die Dinge für sich sprechen. Gleichzeitig ist sie aber sehr präsent, denn ihre Bildauffassung verweigert sich einer ästhetischen Aneignung des Dargestellten. In den gewählten Bildausschnitten stellt sich zum Beispiel keine Verfallsromantik ein, die die Situation pittoresk überhöhen und damit emotionalisieren könnte. So schäbig sich die Oberflächen der Gegenstände präsentieren, so sehr enttarnt Neudörfl sie in ihrer kruden Funktionalität. Die Anmutung von Neudörfls Fotografien – so ist zu vermuten – steht in einem großen Kontrast zur Erfahrung des westlichen Sextouristen. Denn Neudörfl interessiert sich nicht für die Menschen und ihre Aktivitäten, sie schaut sich die nach außen hin sichtbaren Fassaden mit einer Genauigkeit an, vor der auch die moralische Schäbigkeit und die wirtschaftliche Härte des Geschäfts sichtbar werden.

Das große Bildformat sowie die Buchgestaltung tragen zu der architektonischen Erfahrung der Oberflächen bei: In einem normalen Buchbetrachtungsabstand sind die Fotografien zu groß, um sie auf einmal zu erfassen. Der Blick beschäftigt sich zunächst mit den gut sichtbaren, immer scharf abgebildeten Details, bevor das Einnehmen eines größeren Abstands die Betrachtung des ganzen Bildes ermöglicht. Dabei übernimmt die die Bilder durchbrechende Metallspirale eine Aufgabe: Sie scheint Elemente aus den Fotografien aufzugreifen und verleiht ihnen eine Präsenz im Raum. So wird die Bindung nicht zum störenden Element bei der Bildbetrachtung, sondern zu einer sinnfälligen Ergänzung der Bilderfahrung.

Elisabeth Neudörfl lotet mit Super Pussy Bangkok die fotografischen Möglichkeiten innerhalb der Dokumentarfotografie weiter aus. Mit bildnerischen Mitteln untersucht sie einen sichtbaren Ausschnitt realer Gegebenheiten, die mit politischen und wirtschaftlichen Interessen (mindestens) verknüpft sind. Durch die Präzision ihrer Aufnahmen und die Abkehr von exotischen Thailand-Vorstellungen erreicht sie eine eindrucksvolle Darstellung. Weil die Fotografien Leerstellen belassen und Einblicke verweigern, verdeutlicht sich eine fragwürdige gesellschaftliche Situation, die sich ohnehin jeglicher konkreten Abbildung entzieht.


Elisabeth Neudörfl, Super Pussy Bangkok, herausgegeben vom Institut für Buchkunst der HGB Leipzig, Leipzig 2006
66 Seiten, 33 s/w Abbildungen
Format: 41 x 27 cm

Monday, March 26, 2007

Dorothea Lange: Impounded


Dorothea Lange (1895-1965) ist durch ihre Fotografien für die Farm Security Administration (FSA) in den dreißiger Jahren bekannt geworden. Ihre Fotografie Migrant Mother, die auch in Form einer Briefmarke verbreitet wurde, erlangte Weltruhm. Weniger bekannt ist, dass Lange in den vierziger Jahren für ein weiteres Regierungsprojekt fotografiert hat: Im Auftrag der War Relocation Authority (WRA) dokumentierte sie die Internierung von japanischen Immigranten und Amerikanern japanischer Herkunft während des Zweiten Weltkriegs. Weil die Internierung ein politisch umstrittenes und höchst sensibles Thema war, wurden Langes Fotografien lange Zeit unter Verschluss gehalten. Die Bilder wurden zum Teil mit dem Vermerk impounded versehen, was so viel bedeutet wie: beschlagnahmt.

Nun ist es zwei Historikern zu verdanken, dass ein Teil von Langes Fotografien zu diesem Thema in Buchform vorliegt. Aus unterschiedlichen Perspektiven werden die Fotografien in einen zeithistorischen und politischen Kontext eingeordnet. Linda Gordon beschreibt Langes Aufgabe für die WRA aus ihrem Lebenslauf heraus. Lange hatte sich eine hohe Reputation innerhalb der FSA erarbeitet, weil sie mit ihrem sozialen Engagement deren inhaltliche Ausrichtung – die Notwendigkeit der Politik des New Deal und deren positive Auswirkungen auf die von ihrem Land vertriebenen Farmer – aktiv unterstützte. Eine ähnliche Unterstützung für ihr Anliegen wurde von der WRA erwartet. Doch weil die Idee der Internierung aus einer rassistischen Paranoia heraus entstanden war, deckten sich die Interessen der Auftraggeber nicht unbedingt mit den sozialen und antirassistischen Ideen Dorothea Langes. Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor erschienen Immigranten japanischer Herkunft plötzlich als mögliche Feinde der amerikanischen Regierung, unbesehen der Tatsache, dass viele von ihnen längst US-amerikanische Staatsbürger waren. Diese vermeintliche Gefahr galt es aus offizieller Sicht einzudämmen. Dass durch die politische Maßnahme gut integrierte amerikanische Bürger plötzlich ihre Häuser und Geschäfte aufgeben mussten, um ihr Dasein zusammengepfercht und beschäftigungslos in Lagern zu fristen, ist eines der Hauptthemen in Langes Fotografien. Im Gegensatz zu ihren Auftraggebern konzentriert sich Lange auf die Ratlosigkeit und Verzweiflung der entwurzelten Menschen und ihren Umgang mit der ihnen aufgezwungenen neuen Lebenssituation.

Gary Y. Okihiro bezieht sich in seinem Aufsatz auf zahlreiche Augenzeugenberichte und setzt sie in Beziehung zur innenpolitischen Situation der Zeit. Aus seinem Text geht hervor, dass bereits seit Mitte der zwanziger Jahre, dann über die ganzen dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinweg, eine Stimmung der Angst vor ‚rassischer und kultureller Überfremdung’ an der amerikanischen Westküste herrscht. Auch die Zahlen sprechen eine deutliche, rassistische, Sprache: Während des Zweiten Weltkriegs wurden nur wenige Immigranten deutscher oder italienischer Herkunft als Feinde inhaftiert, diese Maßnahme traf vor allem ca. 120.000 japanischstämmige Immigranten – zwei Drittel von ihnen amerikanische Staatsbürger. Über die Wurzeln dieses Rassismus gegen eine kleine Gruppe von Immigranten lässt sich nur spekulieren, auch Okihiro gibt keine Antwort.

Langes Fotografien sind in vier Kapitel unterteilt. Die schwarzweißen Bilder stehen jeweils einzeln auf einer Seite und sind meist mit einer umfangreichen Bildunterschrift versehen, die auf Langes Notizen beruht. Leider sind die Fotos in einem recht groben Raster gedruckt, was das Erkennen feiner Details mitunter erschwert. Zu erklären ist diese fehlende Qualität aus der Ausrichtung des Buches: Langes Fotografien dienen hier der Aufarbeitung historischer Fakten und werden nicht als eigenständige Fotografien und Kunstwerke präsentiert.


Die Bildstrecke beginnt mit der Zeit kurz vor der Evakuierung. Die Fotografien zeigen japanischstämmige Kinder, die gemeinsam mit anderen Kindern den Fahneneid schwören oder die US-Flagge schwenken. Porträts zeigen hart arbeitende Farmer auf ihrem Land und ihre Vorbereitung auf die bevorstehende Abreise ins Ungewisse. In den ersten Fotografien entsteht ein Eindruck von Alltäglichkeit, die Menschen wirken freundlich und gefasst. Doch dann gibt es auch Fotografien anti-japanischer Propaganda und der Plakate, die die Evakuierung ankündigen. Häuser und Läden werden verbarrikadiert, Türen verriegelt, Habseligkeiten eingelagert. Lange fotografiert in verschiedenen Einstellungen die Stufen der Vorbereitung.
Eine Fotografie zeigt beispielsweise einen auf einer Leiter stehenden, in Jeans und Pullover gekleideten Mann, der sein Geschäft mit Holzlatten verbarrikadiert. Im Anschnitt rechts ist ein chinesisches Geschäft zu sehen, das wie selbstverständlich weiter geöffnet bleiben darf. Es sind solche subtilen Verweise, die Langes leise Kritik offenbaren.






Das zweite Kapitel ist mit „The Roundup“ überschrieben, was sich mit Zusammenfassung übersetzen lässt. Lange geht mitunter sehr nah an die Menschen heran, denen Unsicherheit und Verzweiflung ins Gesicht geschrieben sind. Beeindruckend ist beispielsweise die Fotografie eines älteren Farmers, der mit ernstem Blick direkt in die Kamera schaut. Er sitzt in einem Innenraum auf einem Klappstuhl, in der Hand hält er Papiere. Die Stühle in dem Raum sind sichtbar zusammengewürfelt, was auf den provisorischen Charakter der Registrierungs- und Zusammenfassungsaktion schließen lässt. Lange zeigt Familien in Sonntagskleidung, auf Klappstühlen, zwischen Kisten, wartend, verunsichert. Teilweise tragen sie Schilder an ihrer Kleidung, die offenbar das Ziel der Reise oder die familiäre Zusammengehörigkeit markieren. Eine Fotografie zeigt aus leichter Obersicht einen älteren Herrn mit Hut, dessen Schild kontrolliert und mit einer Liste verglichen wird: Degradiert zu Objekten, lassen sich die Menschen in Bussen und Zügen in Zwischenlager abtransportieren. Verabschiedet werden sie von Freunden und Nachbarn mit einer richtigen ethnischen Abstammung.


Das dritte Kapitel – „At the Assembly Centers“ (In den Versammlungszentren) – ist in den provisorischen Lagern fotografiert, in die die japanischstämmigen Immigranten gebracht wurden, bevor sie in die für den langfristigen Aufenthalt eingerichteten Lager umziehen mussten. Langes Fotografien zeigen Baracken und Pferdeställe, die provisorisch als menschliche Behausung hergerichtet werden. Auf der ersten Fotografie des Kapitels ist eine idyllische Blumenwiese mit Baracken im Hintergrund zu sehen, auf einer der folgenden Fotografien ein mit Stacheldraht bewehrter Zaun sowie ein Schild mit Anweisungen für Besucher. Die Zaunfotografie ist deshalb so bemerkenswert, weil insbesondere in den Fotografien vom Lager Manzanar, das im vierten Kapitel im Zentrum steht, weder Zäune noch Militär zu sehen sind. Nach der Beschreibung von Linda Gordon war es Dorothea Lange untersagt, militärische Anlagen oder Soldaten zu fotografieren. Obwohl sie von offizieller Seite beauftragt war, beschreibt Gordon die Kontrollschikanen, denen Lange wiederholt ausgesetzt war. Offensichtlich war die Angst groß, Lange könnte Fotografien anfertigen, die sich nicht mit den Intentionen der WRA decken.
In Langes Fotografien von den Versammlungszentren werden zum ersten Mal die Dimensionen der Internierung deutlich, weil auf den Fotografien nun oft viele Menschen zu sehen sind. Ihr Gepäck wird auf Schmuggelware hin untersucht, sie stehen unmittelbar nach ihrer Ankunft zwischen Gepäckstücken, noch nicht wissend, wohin. Einige von Langes Fotografien zeigen auch, dass die Umbaumaßnahmen noch nicht beendet sind. Pferdeställe sind noch als solche erkennbar, dennoch deuten davor stehende Bettrollen und anderes Gepäck auf die neuen Bewohner hin. Lange bewahrt ihren distanzierten, aber einfühlsamen Blick, indem sie die staubigen Wege zwischen den Baracken ebenso zeigt wie vor den Baracken hingeworfene Gepäckstücke. Lange Schlangen vor den Speisesälen verdeutlichen, dass die Versorgung der vielen Menschen nicht reibungslos abläuft. Schließlich fotografiert Lange auch in den Innenräumen der spartanisch eingerichteten Baracken, die, nach Augenzeugenberichten, teilweise im Geruch noch stark an die vorhergehenden tierischen Bewohner erinnern.

Lange zeigt nicht nur die beschäftigungslosen Menschen, sondern auch erste Schritte der Bewohner, sich den Ort anzueignen. Das Kapitel endet mit der Fotografie eines frisch angelegten Gartens vor einer Baracke. Die Fenster sind inzwischen mit Gardinen versehen, Besen und Gartenwerkzeug sind sorgfältig an der Wand aufgereiht.

Die Stimmung dieses Bildes durchzieht auch das letzte Kapitel mit dem Titel „Manzanar“. Das am nördlichen Ende des Death Valleys in Kalifornien gelegene Internierungslager Manzanar war eines der größten langfristig angelegten Lager. Auf einer staubigen Ebene gelegen, bietet es einen spektakulären Blick auf die Bergketten dahinter. Lange zeigt die eintönigen Baracken und den Kampf gegen den Staub mittels Feuerwehrschläuchen. Hier scheinen die Menschen ein – wenn auch provisorisches – Zuhause gefunden zu haben.

Noch immer gibt es Schlangen vor den Speisesälen, aber nun wird im Schatten gelesen. Lange porträtiert Menschen, die sich arrangiert zu haben scheinen. Sie haben Gärten gepflanzt oder knüpfen Tarnnetze, sie machen Land fruchtbar, setzen die Lagerzeitung. Kinder lesen Comics und freuen sich auf das Baseballtraining. Auch wenn es noch keine Ausstattung für Klassenräume gibt, haben sich Lehrer gefunden, die Schulkinder weiter unterrichten. Selbst das Gruppenbild von Waisenkindern, die aus einer Einrichtung in San Francisco nach Manzanar gebracht wurden, wirkt wie das eines Gruppenausflugs.



Insbesondere bei diesen Fotografien fragt man sich, was wohl der Grund für die Zensur gewesen sein mag, denn der Charakter der Zwangsmaßnahme wird nicht explizit sichtbar. Andererseits mag die politische Sprengkraft gerade hier verborgen liegen: Indem Lange fleißige und ordentliche Menschen zeigt, die sich selbstständig ihren Alltag mit sinnvollen Beschäftigungen organisieren, Gärten anlegen und Blumen arrangieren, wird deutlich, dass hier Mitglieder der Gesellschaft aus ihrem alltäglichen Umfeld sinnlos herausgerissen worden sind. Mit ähnlichem Engagement, so scheint es, hätten sie auch in Freiheit den Interessen des Staates dienen können, der sie zu Feinden deklariert hat.

Auch wenn die Auswahl der Fotografien durch die Aufarbeitung des historischen Themas bestimmt ist, zeigen sich in dieser Serie erneut Dorothea Langes Beobachtungsgabe und ihr Einfühlungsvermögen, die sie in exzellente Bilder umzusetzen versteht. Die japanischstämmigen Immigranten werden in Dorothea Langes Fotografien nicht als Fremde und Andere gezeigt, die eine potentielle Bedrohung der amerikanischen Gesellschaft darstellen. Im Gegensatz zur politischen Stimmung der Zeit betont Lange gerade die genuin menschlichen Aspekte, die selbst innerhalb einer eher menschenfeindlichen Situation aufrecht erhalten bleiben.


Dorothea Lange, Impounded. Dorothea Lange and the censored images of Japanese American Internment, herausgegeben von Linda Gordon und Gary Y. Okihiro, New York 2006, Norton & Company, Inc.
205 Seiten, 108 s/w Abbildungen
Format: 24cm x 18cm

Friday, January 05, 2007

Paul Graham: American Night

Weiß ist Licht. Weiß ist Reinheit. Weiß ist Unschuld. Weiß ist Paul Grahams Fotobuch American Night. Die „Amerikanische Nacht“ ist nicht nur als Titel eines Films von François Truffaut bekannt, sondern auch als ein Filter in der Filmtechnik, der es erlaubt, Nachtszenen tagsüber zu drehen. Der Tag wird im Film zur Nacht. Die Nacht ist jedoch eine Täuschung. Mit dieser Technik wird das Weiß besonders eindringlich erleuchtet: So entsteht das geheimnisvolle Gleißen von Cary Grants weißem Hemd, mit dem er im Finale des Hitchcock Films Der unsichtbare Dritte in den Präsidentengesichtern am Mount Rushmore herumklettert. Im Englischen heißt dieser Filter „Day for Night“. Auch American Night treibt ein verwirrendes Spiel mit Licht und Dunkel und setzt sich mit den amerikanischen Verhältnissen auseinander.

Der großformatige Band ist ganz in weiß gehalten, der Titel in den weißen Leinenumschlag geprägt. Sämtliche Texte sind weiß auf weiß gedruckt, was das Lesen nur bei guten Lichtverhältnissen möglich und sehr mühsam macht. Fotografie ist Sehen, ist Visualisierung. Doch Graham spielt mit der Möglichkeit, sehend nichts zu sehen. Der Großteil der Fotografien ist viel zu hell, die Helligkeit lässt die Farben verblassen. Es ist schwierig, Details zu erkennen. Die weitwinkligen Aufnahmen zeigen Szenen der urbanen Peripherie oder entvölkerter Zentren amerikanischer Städte. Ausfallstraßen, Parkplätze, heruntergekommene Freiflächen, Sportplätze, Schnapsläden. Die fotografierten Gegenden wirken desolat, unbehaust, menschenleer. Es sind Orte des Transits, die man mit dem Auto durchfährt, um höchstens für eine kurze Rast anzuhalten. Und doch halten sich zwischen Strommasten, Hydranten, zerfallenden Schuppen, alten Werbeschildern und zugemüllten Grundstücken einzelne Menschen auf. In der Bildmitte ist – meist weit entfernt – eine einzelne Figur kaum erkennbar, aber dennoch präsent. Ist in den ersten sechs Fotografien der Abstand sehr groß, verringert sich die Distanz ein wenig im weiteren Verlauf des Buches, ohne jedoch die Möglichkeit zu bieten, Personen oder Szenerie wirklich klar zu erkennen. Die rechtsseitig angeordneten ‚weißen’ Bilder werden unterbrochen durch einzelne korrekt belichtete Fotografien großzügiger Häuser, deren Garagen meist Platz für mehr als zwei Autos bieten. Diese Fotografien sind menschenleer. Lediglich die Autos vor den Türen geben einen Hinweis auf die Bewohner. Die Gegensätze der beiden Bildwelten sind nicht zu übersehen. Die Farbigkeit unterstreicht lediglich, was ohnehin schon bekannt ist: Die Unvereinbarkeit des repräsentativen Wohlstands und solcher Bereiche, die die ausgefransten gesellschaftlichen Ränder markieren.

In fast polemisch zu nennender Haltung zeigt Graham die Sichtbarkeit des amerikanischen Traums, der alles, was nicht in dieses Bild passt, neben sich verblassen lässt. Soziales Elend, Armut, Not betrifft nicht diejenigen, die stolz ihr Haus herzeigen können. Die, die am Rand der Gesellschaft leben, werden unsichtbar. Die hellen Bilder lassen zwar die Farben verblassen, dennoch ist die dunkle Hautfarbe der Protagonisten nicht zu übersehen.

In der Mitte des Buches wird der Bildfluss der hellen Sequenzen mit den eingewebten Villen-Fotografien unterbrochen. In zehn Bildern zeigt Graham vollfarbig dunkelhäutige Menschen aus der Nähe. Sie sind als Passanten auf der Straße meist schemenhaft fotografiert. Sonnenstrahlen lassen Gesichter oder Physiognomien aus der Düsternis der innerstädtischen Straßenschluchten hervortreten. Diese Fotografien vermitteln auf sehr direkte Art Armut und soziale Ausgrenzung. Die Menschen schauen ernst, angestrengt, skeptisch, provozierend oder abweisend. Ebenso wie die fotografierten Villen den Status ihrer Bewohner zur Schau stellen, offenbaren die hier gezeigten Menschen sehr direkt ihre soziale Lage.

Das Intermezzo beginnt und endet jeweils mit der Fotografie einer Person im Profil, deren der Kamera zugewandtes Auge durch einen Verband abgedeckt ist: Sehen und Nicht-Sehen sind hier erneut thematisiert. Und auch die Textausschnitte aus Jose Samaragos „Stadt der Blinden“, sowie aus Herman Melvilles „Moby Dick“ greifen dieses Thema auf. Aus Melvilles Buch zitiert Graham nicht die berühmte Passage über das Weiß des Wals, sondern eine Reflexion darüber, dass es zwar möglich ist, zwei nah beieinander liegende Dinge gleichzeitig zu sehen, jedoch unmöglich, sie gleichzeitig eingehend zu untersuchen. Stets wird das andere aus dem Blickfeld verdrängt.

Graham nähert sich der (Un-) Sichtbarkeit sozialer Gegensätze auf konzeptuelle Weise. Sein Ansatz stößt an die Grenzen der Dokumentarfotografie. Denn einerseits zeigt er soziale Gegebenheiten, die sich dem dokumentarischen Blick seiner Kamera darbieten. Andererseits verstößt er gegen die dokumentarische Konvention der Bildgestaltung – die Abzüge sind viel zu hell – um die Aussage seiner Fotografien zu konkretisieren. Graham versucht nicht, ein ausgewogenes, einheitliches Bild der amerikanischen Gesellschaft zu zeigen. Vielmehr vertreibt er den Anschein eines gesellschaftlichen Zusammenhalts. Seit den 1970er Jahren sind die mitunter trostlosen Kleinstadt- und Vorortsituationen amerikanischer Städte von Fotografen wie William Eggleston oder Stephen Shore fotografisch dokumentiert. Doch ihre Dokumentarfotografie gibt dem Land Einheit: Die attraktive Farbigkeit sowie das sprichwörtliche amerikanische Licht rücken das Desolate in den Hintergrund und schlagen Brücken zwischen den sozialen Realitäten. Graham zerstört hingegen durch die Überbelichtung jegliche Illusion. Er konzentriert sich in der Darstellung auf den Bruch, durch den zwei nicht miteinander vereinbare Gesellschaften entstehen.

Trotz der klaren Aussage bleibt Grahams Buch vieldeutig. Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit werden auf subtile Weise miteinander verbunden. Durch die zahlreichen Verweise auf Fotografie, Film und Literatur entstehen verschiedene Ebenen, auf denen das Buch betrachtet werden kann. Es lassen sich wiederholt neue Aspekte und Lesarten entdecken, was die Beschäftigung mit American Night zu einer spannenden Begegnung mit den vielfältigen Möglichkeiten der zeitgenössischen künstlerischen Dokumentarfotografie werden lässt.

Nicht sehen können und nicht sehen wollen liegen manchmal näher beieinander als man denkt.


Paul Graham, American Night, Göttingen 2003, Steidl Verlag
128 Seiten, 60 Abbildungen
Format: 29cm x 38cm


Bildbeispiele finden sich hier: http://www.steidlville.com/books/47-American-Night.html

Texte über Fotografie

Nachdem die Reiseaktivität seit längerem beendet ist, möchte ich mich an dieser Stelle in Zukunft mit Fotografie, insbesondere einer künstlerischen Fotografie beschäftigen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Fotobüchern. Es werden aber auch Ausstellungen oder andere Events vorgestellt, die mit Fotografie zu tun haben.

Das Medium Buch stellt eine ideale Form der Präsentation von Fotoarbeiten dar. Zwischen den Buchdeckeln ist ein Projekt wirklich beendet. Reihenfolge, Formate und Bildkombinationen sind festgelegt. Das Buch lässt sich transportieren oder verschicken, alleine oder zu mehreren Personen anschauen. Fotobücher ermöglichen eine intensive Beschäftigung mit dem Medium Fotografie. Ein Buch lässt sich kurz durchblättern oder jede einzelne Fotografie lange anschauen. Es lässt sich von vorne nach hinten, hinten nach vorne blättern oder willkürlich aufschlagen. Wenn es im eigenen Regal steht, kann man es immer wieder hervorholen und von Neuem betrachten. Manche Bücher bleiben immer gleich, andere scheinen sich zu wandeln, weil der eigenen Blick sich verändert. Ob ein Buch schon sehr alt ist oder erst kürzlich erschienen, ob es im Antiquariat für viel Geld gehandelt wird oder billig verramscht, ob die KünstlerInnen bekannt oder unbekannt sind, spielt keine Rolle. Entscheidend ist allein die Qualität des fotografischen Ansatzes.