Wednesday, September 19, 2007

Elisabeth Neudörfl: Super Pussy Bangkok


Vermutlich verhindert der Titel das Auffinden dieses Buches über seriöse Suchmaschinen im Internet. Doch obwohl Prostitution und deren Hintergründe Thema des großformatigen Fotobuches sind, zeigen die Fotografien nicht das, was sich üblicherweise hinter einem solchen Titel verbirgt. Überraschend ist zunächst das Buchformat: In metallischem Magenta präsentiert sich der etwas schmaler als A3 angelegte hochformatige Band, der mit einer Metallspirale gebunden ist. Der Titel ist einer Neonreklame nachempfunden. Beim Aufblättern folgt direkt die erste querformatige Schwarzweiß-Fotografie. Das vollformatige Bild ist in der Mitte durch die Spiralbindung zweigeteilt. Dieser Umgang mit Bild und Layout zieht sich durch das gesamte Buch mit insgesamt 33 Fotografien. Im ganzen Band gibt es keine Vakat-Seiten oder weißen Ränder, Text steht nur auf dem Außenumschlag.

Elisabeth Neudörfl richtet ihre Kamera hauptsächlich nach oben, meist stürzen die Linien. Sie fotografiert Hausfassaden mit Klimaanlagen, Kabelgewirr, Neonreklamen. Das diffuse Tageslicht sorgt für eine gleichmäßige Beleuchtung. Schnell wird klar, dass hier ein Vergnügungsviertel gezeigt wird. Nur selten sind die Straßen zu sehen, die Bilder geben den Blick frei auf abweisende, schäbige Fassaden, auf dem Balkon trocknende Wäsche, Satellitenschüsseln. Doch am Auffälligsten sind die wirren Stromkabel, die sich scheinbar planlos von Haus zu Haus winden und die Klimaanlagen sowie nachts die Neonschilder der Clubs mit Strom versorgen. Das Schwarzweiß der Fotografien betont den nüchternen Blick, der sich nicht einwickeln lässt und eine Exotik des Fremden von vornherein ablehnt. Die Namen der Lokalitäten spiegeln die globalisierte nächtliche Unterhaltung: Ballermann 69, Tip-Top Restaurant, Radio City, Suzie Wong oder eben SuperPussy. Lediglich über die Namen und ihre typografische Umsetzung scheinen sich die Etablissements voneinander zu unterscheiden. Eine riesenhafte ägyptische Maske an einer Fassade oder Objekte, die nachts wohl als Neon-Brunnen oder –Sonnen erscheinen, deuten auf die Sehnsucht nach Las Vegas-Glamour. Die Fotografien betonen deutlich die Enge in den Gassen und die Nähe zwischen den Clubs. Hinter den nur wenige Stockwerke hohen Häusern des Vergnügungsviertels sind auf einigen Bildern Hochhäuser zu sehen. Fast scheint es, als ob die schmutzigen Geschäfte der Straße aus den Türmen heraus überwacht und die Geldströme von dort aus kontrolliert werden.

Elisabeth Neudörfl hat in Bangkok in jenen drei Straßen fotografiert, in denen die sich vorwiegend an westliche Ausländer richtende Sexindustrie beheimatet ist. Auf der Rückseite des Bandes weist ein kurzer Text darauf hin, dass – trotz des Verbots der Prostitution in Thailand – dieser Sektor ca. 10% des Bruttoinlandprodukts erwirtschaftet. Tatsächlich sind diese drei Straßen zusammen nur etwa 600 Meter lang. Neudörfl betont die räumliche Begrenzung, indem sie wiederholt Schilder oder Fassaden aus variierten Blickwinkeln zeigt.

Neudörfls Fotografien setzen sich mit der Prostitution im Zustand der ordnungspolitisch geduldeten Illegalität auseinander, ohne sich vordergründig der menschlichen Seite zuzuwenden. Sie zeigen gerade nicht die nächtliche Situation, wenn sich dort Menschen tummeln und alles in eine geheimnisvolle, aufregende Neonfarbigkeit getaucht ist, die Konturen verschwimmen und Details in der Dunkelheit entschwinden. Neudörfl fotografiert tagsüber. Die Fotografien sind menschenleer, so dass Gefühle von Sympathie oder Antipathie gegenüber Personen grundsätzlich ausgeschlossen sind. Die Sachlichkeit der Aufnahmen orientiert sich an der wahrnehmbaren Außenwelt und vertritt damit eine streng dokumentarische Haltung. Die Fotografin nimmt sich zurück, sie lässt die Dinge für sich sprechen. Gleichzeitig ist sie aber sehr präsent, denn ihre Bildauffassung verweigert sich einer ästhetischen Aneignung des Dargestellten. In den gewählten Bildausschnitten stellt sich zum Beispiel keine Verfallsromantik ein, die die Situation pittoresk überhöhen und damit emotionalisieren könnte. So schäbig sich die Oberflächen der Gegenstände präsentieren, so sehr enttarnt Neudörfl sie in ihrer kruden Funktionalität. Die Anmutung von Neudörfls Fotografien – so ist zu vermuten – steht in einem großen Kontrast zur Erfahrung des westlichen Sextouristen. Denn Neudörfl interessiert sich nicht für die Menschen und ihre Aktivitäten, sie schaut sich die nach außen hin sichtbaren Fassaden mit einer Genauigkeit an, vor der auch die moralische Schäbigkeit und die wirtschaftliche Härte des Geschäfts sichtbar werden.

Das große Bildformat sowie die Buchgestaltung tragen zu der architektonischen Erfahrung der Oberflächen bei: In einem normalen Buchbetrachtungsabstand sind die Fotografien zu groß, um sie auf einmal zu erfassen. Der Blick beschäftigt sich zunächst mit den gut sichtbaren, immer scharf abgebildeten Details, bevor das Einnehmen eines größeren Abstands die Betrachtung des ganzen Bildes ermöglicht. Dabei übernimmt die die Bilder durchbrechende Metallspirale eine Aufgabe: Sie scheint Elemente aus den Fotografien aufzugreifen und verleiht ihnen eine Präsenz im Raum. So wird die Bindung nicht zum störenden Element bei der Bildbetrachtung, sondern zu einer sinnfälligen Ergänzung der Bilderfahrung.

Elisabeth Neudörfl lotet mit Super Pussy Bangkok die fotografischen Möglichkeiten innerhalb der Dokumentarfotografie weiter aus. Mit bildnerischen Mitteln untersucht sie einen sichtbaren Ausschnitt realer Gegebenheiten, die mit politischen und wirtschaftlichen Interessen (mindestens) verknüpft sind. Durch die Präzision ihrer Aufnahmen und die Abkehr von exotischen Thailand-Vorstellungen erreicht sie eine eindrucksvolle Darstellung. Weil die Fotografien Leerstellen belassen und Einblicke verweigern, verdeutlicht sich eine fragwürdige gesellschaftliche Situation, die sich ohnehin jeglicher konkreten Abbildung entzieht.


Elisabeth Neudörfl, Super Pussy Bangkok, herausgegeben vom Institut für Buchkunst der HGB Leipzig, Leipzig 2006
66 Seiten, 33 s/w Abbildungen
Format: 41 x 27 cm