In seinem Vorwort zum Buch »Berlin at the Times of the Wall« schreibt der amerikanische Fotograf John Gossage, er habe sich Mitte der 1980er Jahre anlässlich seines ersten Besuchs in West-Berlin darüber gewundert, dass die West-Berliner FotografInnen sich überhaupt nicht für das Motiv der Berliner Mauer interessierten. Tatsächlich scheint Michael Schmidts Buch »Waffenruhe« von 1987 eine der wenigen zeitgenössischen Ausnahmen zu sein. Abgesehen von zahlreichen Fotografien, die die Berliner Mauer im Stadtteil Kreuzberg dokumentieren, haben die peripheren Bereiche offensichtlich wenig fotografisches Interesse erzeugt. War die Existenz der Mauer auch in den 1980er Jahren noch zu schmerzlich oder war sie vielleicht einfach zu alltäglich als dass ihre Dokumentation lohnenswert schien? Um so bemerkenswerter ist es, dass nun, 20 Jahre nach ihrer Überwindung, ein Buch über die Berliner Mauer im Fotobuchhandel erscheint, das der japanischstämmige Amerikaner Shinkichi Tajiri von 1969 bis 1972 in West-Berlin fotografiert hat. Tajiri (1923-2009) wurde 1969 zum Professor an die Berliner Hochschule der Künste (heute: Universität der Künste) berufen. Ebenso wie Gossage etwa fünfzehn Jahre später fasziniert ihn dieses Bauwerk, das West-Berlin umschließt und sich mitten durch die Stadt zieht, die es zweiteilt. Er beschließt, den 43 km langen Abschnitt zwischen West- und Ost-Berlin vom Südosten bis zum Nordosten West-Berlins fotografisch zu dokumentieren.
Dabei ist zunächst ein historisches Dokument entstanden. Das Buch im Format eines Ziegelsteins mit 550 schwarzweißen Fotografien zeigt das zu dieser Zeit etwa acht Jahre alte Bauwerk, das an einigen Stellen noch provisorisch wirkt, manchmal sogar nur Zaun ist, durch den hindurch Häuser auf der Ostseite zu sehen sind. In einigen Bereichen sind noch die Relikte der ersten Mauer zu sehen, die 1961 aus Hohlsteinen gemauert wurde. Dahinter steht nun die Mauer der zweiten Phase, die in ähnlicher Form das Bauwerk bis zu seinem Ende prägte: Eine Mauer aus Betonteilen, etwa 3,75 m hoch, oben teilweise durch eine Betonrolle abgeschlossen. An manchen Stellen bestimmt das urbane Umfeld das Aussehen des Bauwerks, bilden zu dieser Zeit mitunter noch Ruinen von – nun fast vollständig abgerissenen – Häusern die Sektorengrenze. In seiner Ausführlichkeit bietet das Buch denjenigen eine Gedächtnisstütze, die vergessen haben, wie sich Westberlin an den Rändern zum Ostteil der Stadt Jahrzehntelang präsentierte.
Doch das Buch ist auch aus fotografischen Gründen interessant. Tajiri fotografiert den Ort in einer sachlich zurückhaltenden Art, die topografisch anmutet und bildnerisch durchaus interessant anzuschauen ist. Er beginnt mit seiner Dokumentation im Stadtteil Rudow am Übergang Walthersdorfer Chaussee, wo Kleingartenkolonien und Felder an die Mauer heranreichen. Mal steigt er auf einen Aussichtsturm und fotografiert von oben, so dass die Grenzbefestigungen auf der Ostseite gut zu sehen sind, mal befindet er sich in einiger Distanz und fotografiert die Landschaft; die Mauer ist dann lediglich ein in der Ferne liegender Aspekt des Bildes.
Er bezieht Straßenschilder mit ein, so dass die BetrachterInnen anhand eines Stadtplans dem Fotografen auf seinen Spaziergängen folgen können. Sind die Bilder zu Beginn meist menschenleer, tauchen in den innerstädtischen Bereichen Personen auf. Vor allem Kinder spielen in den durch die Mauer abgeschnittenen und damit verkehrslosen Straßen, Erwachsene gehen mit dem Hund spazieren oder steigen auf einen der zahlreichen Hochstände, die einen Blick auf die andere Seite ermöglichen. Das Buch beginnt als Dokumentation einer urbanen Peripherie und bewegt sich mehr und mehr in urbane innerstädtische Bereiche hinein, die teilweise noch stark durch Kriegszerstörungen geprägt sind.
Tajiris Haltung betont gerade nicht die emotionale Seite der Existenz der Mauer. An manchen Stellen sind in einiger Entfernung Schilder zu sehen, die von einer »Straßensperrung verursacht durch die Schandmauer« sprechen: Er fotografiert diese gerade nicht von Nahem, sondern beobachtet zurückhaltend, wie sich das Bauwerk in das Stadtbild einfügt. Das mag mancher merkwürdig finden. Tajiri nimmt die Existenz der Mauer als Tatsache zur Kenntnis, die keines weiteren emotionalen Kommentars bedarf, weil deren Unmenschlichkeit ohnehin weithin anerkannt ist. Die Mauer – wie Taijiri sie zeigt – bestimmt vielmehr den Alltag vieler West-BerlinerInnen, denen letztendlich nichts anderes übrig bleibt, als sich mit dieser Beton gewordenen Teilung ihrer Stadt zu arrangieren. Selten sind Kreuze oder Kränze für Mauertote nah ins Bild genommen oder ein Kleidungsstück, das sich im Stacheldraht verfangen hat. Es überwiegt die Totale, die die Stadtlandschaft um die Mauer herum mit möglichst hoher Tiefenschärfe aufzeichnet. Zudem fotografiert Tajiri im Sommer: Der Himmel ist meist neutral Grau, die Bäume sind belaubt. Auch dies trägt zur sachlichen Anmutung der Fotografien bei, die keine emotionale Aufladung durch fotografische Methoden wie beispielsweise dem Abdunkeln des Himmels oder einer selektiven Schärfe erfahren.
Die querformatigen Bilder sind im Buch doppelseitig mit kleinem schwarzen Rand angeordnet. Die Bildkombinationen scheinen weitgehend der Reihenfolge Rechnung zu tragen, in der sie fotografiert sind. So verweist auch die Buchform auf die dokumentierende Absicht des Fotografen. An manchen Stellen springt die Aufzeichnung geografisch, was sich sicher durch das Lektorat eines Ortskundigen hätte vermeiden lassen. Letztendlich spielt dies aber keine Rolle, denn Tajiri schreibt im Vorwort, dass er aufgrund mangelnder Ortskenntnis nicht dafür garantiert, dass er wirklich jeden Meter der Mauer fotografiert habe.
Erschienen ist das Buch bereits im Jahr 2005. Tajiri erwähnt, dass er nie daran interessiert gewesen sei, die Negative in monatelangen Dunkelkammersitzungen zu vergrößern, was sicher daran liegt, dass die Fotografie in seinem künstlerischen Oeuvre eher eine marginale Position einnimmt. So ermöglicht ihm erst das digitale Zeitalter die Erschließung seiner Bestände im hell beleuchteten Büro. Shinkichi Tajiris Buch »The Berlin Wall« erweitert die Palette der Bücher zur Berliner Mauer um ein topografisch anspruchsvolles Projekt, das, anders als die Bücher von Michael Schmidt und John Gossage, nicht die allgemeine Stimmung in der eingemauerten Stadt thematisiert, sondern sich schlicht des Bauwerks annimmt, das schließlich doch nicht so dauerhaft sein sollte, wie sich es deren Erbauer möglicherweise erhofft hatten.
Shinkichi Taijiri, The Berlin Wall, herausgegeben von Taha B.V., 2005, Baarlo, Niederlande.
550 s/w Abbildungen
Format: 15 x 21,5 cm
Wednesday, September 23, 2009
Wednesday, April 01, 2009
Was ich vermissen werde
Begegnung mit einem Yapsatıcı
Der Yapsatıcı ist eine Art Bauunternehmer, der im Auftrag des Grundstückseigentümers ein neues Gebäude finanziert und als Gegenleistung einige Wohnungen in dem zu errichtenden Gebäude erhält, und durch deren Verkauf die Kosten für den Bau akquiriert bzw. dadurch eine Wohnung für sich oder Familienmitglieder bekommt. Ob es sich bei meiner Begegnung tatsächlich um einen Yapsatıcı gehandelt hat, weiss ich natürlich nicht. Die Kommunikation lief ausschließlich über Gesten und minimale Brocken Englisch seinerseits bzw. Türkisch meinerseits.
Begegnet bin ich ihm an einer Baustelle in Hanglage mit Blick auf die 2. Bosporusbrücke. Als ich die darüber liegenden unfertigen Häuser fotografierte, sprach er mich an. Zuerst dachte ich, er wolle nicht, dass ich die Häuser fotografiere, weil sie ja nicht fertig sind und offensichtlich auch schon eine Weile so da stehen. Dann stellte sich aber heraus, dass die unfertige Wohnanlage ihm gehört und er dort oben in einem Haus mit seinem Vater wohnt und er mich einlud, den Blick von seiner Terrasse aus zu fotografieren. Insofern habe ich die Wohnanlage von nahem sehen können, den Blick genießen und mich davon überzeugen können, dass die unfertigen Häuser innen ganz schön schrottig aussehen.
Die Frage ist, warum ist das nicht fertig gebaut worden? Ist das Geld ausgegangen? Was hat es mit der neuen Baustelle auf sich? Leider sind das alles Fragen, die sich aufgrund mangelnder Fremdsprachkenntnisse leider auch nicht klären ließen.
Monday, March 30, 2009
Wahltag
Der Tag der Kommunalwahlen gestern war ein sehr entspannter, frühlingshafter Tag. Man ging an der Strandpromenade spazieren und genoss die Sonnenstrahlen. Die Helfer haben es tatsächlich geschafft, die Stadt fast vollständig von Fähnchen und Wahlpropaganda zu befreien. Da muss in der Nacht auf den Straßen ganz schön viel los gewesen sein.
Außer der Tatsache, dass Schulen als Wahllokale fungierten und dementsprechend dort sonntags Leute anzutreffen waren, konnte man aber wenig mitbekommen vom Wahltag. Lediglich an den Parteizentralen waren Medienvertreter positioniert und dann gab es wohl die eine oder andere Bezirks-Wahlparty. Als ich am Abend zurück nach Kadıköy kam, waren dort jedenfalls einige Straßen durch große Busse verstopft und die Polizei versuchte, den Verkehr zu regeln. In Istanbul wurde der AKP-Kandidat wiedergewählt, auch wenn das Ergebnis wohl knapper war, als angenommen. Zwischendurch hieß es, der CHP-Kandidat würde führen, was aber dann doch nicht stimmte. Insofern wird in Istanbul wohl alles so bleiben wie es ist – im Sinne ständiger Veränderung selbstverständlich.
Die Rückseite der Shopping Malls
In Levent, das auf der europäischen Seite nördlich von Taksim gelegen ist, gibt es oben auf dem Hügel mehrere Shopping Malls und große Bürozentren. Hier ist sozusagen eines der vielen wirtschaftlichen Zentren der Stadt angesiedelt. Hinter den Shopping Malls geht es allerdings recht steil den Hang hinab und dort findet man die übliche Mischung aus neueren und älteren Apartmenthäusern sowie Hütten, die alle von der Zuwanderung aus Anatolien zu sprechen scheinen. Die Frauen tragen meist Kopftücher, auf der Straße sind hauptsächlich Männer und spielende Kinder.
Dann gibt es auch noch Betonklötze, in denen wohl einmal die Stadtteil-Verwaltung angesiedelt war, die jetzt aber bis auf das Erdgeschoss leer stehen.
Ausserdem wird natürlich weiterhin gebaut.
Thursday, March 26, 2009
Wahlkampf II
Hier sind die versprochenen Bilder mit den Wahlkampfpavillons vom Anleger in Kadıköy. Allerdings sind sie von gestern, heute Nachmittag schien doch noch einmal viel mehr los zu sein. Heute standen Leute bereits am Anleger und riefen etwas in die Menge und es ist schwierig, ohne Wahlkampfbroschüren in die Hand gedrückt zu bekommen, die Straße zu erreichen.
Was ich auch vergaß zu erwähnen: Ganz wichtig sind sowohl Lautsprecherwagen als auch Musik. Die Busse mit – je nach Budget – montierten Boxen oder Megaphonen fahren seit Wochen durch die Stadt und verbreiten einen Höllenlärm. Dabei geht es nicht nur um Parolen oder konkrete Veranstaltungen, sondern jede Partei scheint einen eigenen Musikstil zu vertreten. Die CHP hat beispielsweise einen ganz martialischen Turk-Hiphop-Sound, während andere eher orientalische Klänge verbreiten, manche mit, manche ohne Gesang. Die Unterscheidung der Musik abseits der CHP habe ich aber noch nicht so raus.
Am Anleger wird dann auch bei der CHP getanzt, während für die Saadet Frauen mit Kopftüchern Wahlkampfmaterial verteilen. Die AKP bemüht sich sogar, phänotypische Parallelen zwischen Atatürk und Erdoğan herzustellen.
Ob es eigentlich wirklich um Inhalte geht, weiß ich nicht so genau. In der englischsprachigen Presse fand sich heute ein Artikel, wo es tatsächlich um Inhaltliches ging: Schwerpunkt ist dabei die Stadtplanung mit den Themen Verkehr und Erdbebenprävention. Und tatsächlich finde ich, dass der öffentliche Nahverkehr bzw. die Gestaltung von Straßen und Plätzen eine große Rolle spielen. Schließlich wurden die neuen Istanbuler Metrobus-Linien mit großem Trara eingeweiht, wie eben auch die Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Eskişehir und Ankara. Außerdem wird permanent an vielen Stellen der Stadt das Straßenpflaster erneuert.
Florya Atatürk Deniz Köşkü
Als es in den 1930er Jahren mit Atatürks Gesundheit bergab ging, empfahl sein Arzt ihm, mehr Zeit etwas außerhalb der Stadt zu verbringen und sich dort der guten Seeluft auszusetzen. So wurde die Atatürksche Seevilla errichtet, ein typisches Beispiel für die frühe republikanische Architektur, die sich dem Bauhau verpflichtet fühlt. Das Haus wurde von Seyfi Arkan gebaut, der von deutschen Architekten ausgebildet worden war. Es steht auf Pfeilern im Marmarameer, was an einem Tag mit starker Brandung natürlich um so spannender wird.
Das Haus ist als Museum mit den originalen (?) Möbeln erhalten und kann besichtigt werden. Weil es aber von der Polizei bewacht wird (immerhin nicht vom Militär wie die meisten Anlagen in Ankara), macht es nach außen hin erstmal keinen einladenden Eindruck. Als ich aber neugierig vor der Absperrung herumschlich, wurde mir bedeutet, dass ich das Museum besichtigen könne. So bekam ich eine exklusive Führung als einzige Besucherin.
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