Friday, January 23, 2015
De/segregierte Schulen
Eher durch Zufall habe ich im Zusammenhang des Martin Luther King Days erfahren, dass einige Bildikonen aus der Zeit der Bürgerrechtsbewegung gegen die Segregation in den Südstaaaten nicht, wie ich immer annahm, in Mississippi oder Alabama, sondern tatsächlich in New Orleans aufgenommen wurden, im Ninth Ward, also dort, wo ich derzeit wohne. Es geht um einige Bilder von schwarzen Kindern, die unter Polizeischutz zum Unterricht in einer bis dahin ausschließlich von weißen Kindern besuchten Schule gehen. Es geht als um die damals hart umkämpfte Integration der Schulen. Bekannt ist das Gemälde von Norman Rockwell The Problem We All Live With von 1963 sowie einige (auch dem Gemälde zugrunde liegenden Fotografien, die es in die Geschichtsbücher geschafft haben: Die schwarzen Erstklässlerinnen müssen von weißen Federal Marshals in die Schule begleitet werden, weil ein weißer Mob spuckend und schreiend versucht, sie daran zu hindern.
Ausgangspunkt dieser Geschehnisse war ein Gerichtsbeschluss, der die beiden Schulen im Ninth Ward am 14.11.1960 zur Integration schwarzer Kindern sozusagen verdonnerte. Die eine Schule ist um die Ecke von meiner ersten Wohnung an der Desire Street, die zweite im Lower Ninth Ward, etwas weiter Fluss abwärts. Die erste, die William Frantz Elementary School, ist durch die Pioniertat der Ersklässlerin Ruby Bridges zur integrativen Schule gemacht worden. Ruby ist das Mädchen auf dem Rockwell-Gemälde. So weit her war es dann aber mit der Integration nicht: Ruby wurde ein Jahr lang alleine und nur von einer Lehrerin unterrichtet - von der einzigen, die bereit war, ein schwarzes Kind zu unterrichten. Zudem hatten fast alle weißen Eltern ihre weißen Kinder aus der Schule genommen um diese mit Schulbussen zu den Schulen der noch immer zu hundert Prozent segregierten Nachbargemeinden zu schicken. Nur zwei weiße Mädchen besuchten die William Frantz Elementary School neben Ruby noch. Doch wurden beide getrennt von ihr in anderen Räumen unterrichtet. Ihr Schulweg war aber mitunter genauso schwierig wie der von Ruby, denn der Mob stand dort nicht nur am ersten Schultag, sondern über Wochen.
Die William McDonough Elementary Nr. 19 im Lower Ninth Ward wurde von drei Mädchen integriert, auch sie gingen mehr als ein Jahr lang alleine zur Schule, bis schließlich mehr schwarze und weiße Kinder kamen.
Diese vier Mädchen waren für ihre revolutionären Tat geradezu gecastet worden. Die NAACP (National Association for the Advancement of Colored People) hatte die Kinder und ihre Familien in einem langen Screening-Prozess ausgewählt. Es ist wohl nicht verkehrt, sie Heldinnen der Bürgerrechtsbewegung zu nennen, da es sicher sehr belastend ist, in einem solchen Umfeld zur Schule zu gehen. Mich hat sehr beeindruckt, dass sie alle davon berichten, sie hätte die Situation an Mardi Gras erinnert – Menschenmengen stehen auf der Straße und brüllen, weil sie Dinge zugeworfen haben wollen, andere werfen mit Objekten.
Heute ist die Situation der »öffentlichen« Schulen in New Orleans wieder sehr speziell.
Es gibt kaum noch öffentliche Schulen im herkömmlichen Sinne. Bereits vor Katrina hatte der Staat Louisiana damit begonnen, die Kontrolle über die kommunalen Schulen von New Orleans an sich zu ziehen, um sie dann in so genannte Charter Schools umzuwandeln. Charter Schools sind privatisierte Schulen, die Lehrer*innen zu den jeweils eigenen Bedingungen beschäftigen, aber Aufgaben der öffentlichen Schulen übernehmen. Die Problem, die dadurch entstehen, sind sehr komplex. Ich versuche, sie hier kurz zu umreißen.
Vor Katrina waren die Schulen nicht nur baulich, sondern auch von den Leistungen her in einem sehr schlechten Zustand, ca. 90% der Schüler*innen schwarz, deren Leistungen lagen teilweise unter dem Staatsdurchschnitt. Katrina ermöglichte es, alle Schulen zu schließen und alle Lehrer*innen zu entlassen. Dann wurden die Schulen unter der Oberaufsicht von Baton Rouge (Hauptstadt Louisianas) nach und nach als Charter Schools wieder eröffnet. Dafür gab es und gibt es immer noch Geld aus Washington - also nicht nur von der Regierung Bush, sondern auch von der Obamas. Das entspricht natürlich dem neoliberalen Konzept der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, wird aber mit dem großen Wort Choice (Wahl) beworben. Früher gingen die Kinder in eine Schule in der Nachbarschaft. Heute müssen die Eltern herausfinden, welche Schule was bietet, sie haben: die Wahl. (Es heißt hier auch: »To shop for a school.«) Doch auch die Schulen haben die Wahl und es kann passieren, dass das Kind in keiner der gewünschten Schulen genommen wird. So entstehen einige Schulen, an die keiner will, die aber den Rest der Schüler*innen einsammeln. Eltern bei der Wahl zu unterstützen, ist kein Bestandteil der neoliberalen Rhetorik.
Die Arbeitsbedingungen für die Lehrer*innen sind mitunter sehr schlecht, es gibt oft nur Kurzzeitverträge und die Bezahlung ist sehr unterschiedlich. Wenn eine Schule über einen längeren Zeitraum den aus Baton Rouge vorgegebenen Anforderungen nicht entspricht, kann sie geschlossen werden. Eltern müssen dann erneut nach einer Schule für ihre Kinder suchen.
Immerhin sind die Schulen jetzt in einem guten, neu renovierten Zustand und gerade haben die Wähler*innen auch dafür gestimmt, einen Fonds für notwendige Reparaturen anzulegen. Doch die neuen »privat-öffentlichen« Schulen werden zu ca. 91% von schwarzen Kindern besucht, bei etwa 64% schwarzer Bevölkerung. Die weißen Kinder besuchen offenbar in der Mehrzahl Privatschulen.
Zurück zu den beiden in der Bürgerrechtsbewegung herausragenden Orten: Während die William Frantz Elementary School jetzt als Akili Academy wieder eröffnet hat, gehört die McDonogh Nr. 19 zu den Katrina-Opfern. Es scheint nicht im Interesse der Stadt zu liegen, diese Schule des Lower Ninth Ward wieder zu eröffnen. Im Lower Ninth Ward gibt es derzeit nur eine Schule, die meisten Kinder dort müssen lange Schulwege mit dem Schulbus zurücklegen.
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